Neue Perspektiven für die Wirtschaft
Ökonom trifft Reporterlegende
Vor welchen Herausforderungen stehen Unternehmen heute? Was hilft gegen den Fachkräftemangel? Wie die Energiewende gestalten und wie Bürokratie abbauen?
Diese und andere Fragen wurden im Wirtschaftsgespräch unter dem Motto „Neue Perspektiven für die Wirtschaft“ mit dem Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) Marcel Fratzscher erörtert. Moderiert wurde die muntere Talkrunde, die später um Bürgermeister Michael Gerdhenrich sowie die Unternehmerin Katrin Horsthemke und den Blumenbecker-Geschäftsführer Olaf Lingnau erweitert wurde, von Manni Breuckmann. Die Sportreporterlegende zeigte sich nicht nur gut im Stoff, Breuckmann stellte seine Fragen auch launig, treffsicher und augenzwinkernd provokativ. So wurden die ernsten Themen zwar mit dem gebotenen Respekt, aber zugleich unterhaltsam und locker aufbereitet.
Wo stehen wir heute auf einer Skala von 1 bis 10? Während der Wissenschaftler Deutschland im globalen Vergleich bei einer 9 sieht, blickt Lingnau deutlich pessimistischer in die wirtschaftliche Zukunft und vergibt nur 4 Punkte. „Wir müssen zu Potte kommen, aber ich bin sicher, dass wir das in den nächsten 10 Jahren hinbekommen”, so der Gast aus Berlin. Der Geschäftsführer von Blumenbecker hingegen macht multiple Krisen aus und sorgt sich wegen der zunehmenden Produktionsverlagerung ins Ausland. „Und dann fehlt uns bei Themen wie der E-Mobilität leider noch die Infrastruktur, das ist in China ganz anders. Da gibt es erst die Infrastruktur, dann die E-Autos", erklärte der Unternehmer. Katrin Horsthemke sieht ihr Unternehmen zur Zeit gut aufgestellt, nimmt aber eine zunehmende Kaufzurückhaltung der Kundschaft wahr.
Ein großes Problem ist der Fachkräftemangel, da waren sich alle einig. Schon jetzt gebe es 1,7 Millionen offene Stellen, stellt Fratzscher klar. „Das werden noch deutlich mehr, wenn die Babyboomer in Rente gehen.” Seine Lösungen: Flexibleres Renteneintrittsalter, die Erwerbstätigkeit von Frauen erhöhen, Zuwanderung, da es an Arbeitskräften in allen Bereichen mangele.
Das Steuersystem sei schädlich für die deutsche Wirtschaft, meint Fratzscher. Kleine und mittlere Einkommen müssten entlastet, große passive Vermögen deutlich stärker besteuert werden.
Und der Klimawandel? „Wir sind dabei, das 1,5 Grad-Ziel zu verfehlen”, ist sich Fratzscher sicher. „Aber wir sind ja weltweit auf einem guten Weg", und nennt etwa die E-Mobilität, grünen Stahl und Wärmepumpen. Ein gutes Beispiel sei Norwegen, wo bereits rund 80 Prozent der Häuser mit Wärmepumpen beheizt würden. Aber: „Die Menschen müssen die Veränderungen mittragen.”
Soll die Schuldenbremse gelockert werden? Das sei nicht die Hauptlösung, sagt der Wissenschaftler und macht die Rechnung von guten Schulden auf: 100 Euro in die Bildung investiert kommen langfristig als um 200 bis 300 Euro höhere Steuereinnahmen zurück, da gute Qualifikation zu gutem Verdienst führe. Bürgergeldkürzungen seien keine Option, zumal ein Drittel der Bürgergeld-Empfänger Kinder sind.
Wichtig sei, die Interessen nicht gegeneinander auszuspielen, stellte der Bürgermeister heraus. Medial getriebene Diskussionen etwa bei den Themen Bürgergeld oder Steuererhöhung führten am Ziel vorbei. An einigen Stellen gebe es Zielkonflikte, etwa bei dem Wunsch Bürokratie ab- und zugleich das Mobilfunknetz ausbauen zu wollen. „Solche Diskussionen müssen wir führen”, so Gerdhenrich.
Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), Professor für Makroökonomie und Finanzen an der Humboldt-Universität Berlin und Mitglied des Beirats des Bundesministeriums für Wirtschaft. In der Rangliste der einflussreichsten Ökonomen Deutschlands, die die Frankfurter Allgemeine Zeitung jährlich erstellt, rangiert er regelmäßig unter den Top 5.
Nach dem Jurastudium war Manfred (Manni) Breuckmann zunächst im Presse- und Informationsamt der Bundesrepublik Deutschland tätig. Anschließend arbeitete er als Radiomoderator mit besonderer Leidenschaft für Fußballreportagen beim WDR, wodurch er als "Stimme des Westens" bekannt wurde. Ein weiterer Fokus seiner journalistischen Arbeit lag auf der Landespolitik. Heute ist der 73-Jährige als freier Moderator, Vortragsredner, Autor und Podcaster tätig.